Tierische Begegnung
Tierische Begegnung
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Ostpark-Gänse lassen sich nicht so schnell vertreiben wie Kaninchen. © Kraus
Der Ostpark ist internationaler als der Flughafen und seine Besucher wundern sich über Unmengen an hoppelnden Kleintieren.
Die Karnickel. Gefühlte 187 000. Und alle miteinander verwandt. Bestimmt. In groß. In mittelgroß. In klein. In noch kleiner. Aber sonst wie Klone. Fell-Klone. Die Abendsonne blitzt im Weiher, und die Wiesen links und rechts neben den Schotterwegen sind nicht mehr grün. Sondern beige. Karnickelbeige.
Die Karnickel kauern herum, und wissen, dass gleich etwas Schreckliches passiert. Tier und Mensch führen im Ostpark keine friedliche Koexistenz. Da, ein Radfahrer. Da, die blöde Joggerin, mit ihren luftgepolsterten Angeberschuhen aus dem Laufshop. Wuuusch. Karnickel sind schneller als Jogger und Radler. Die Wiese: wieder grün. 18 panische Fellknäuel wetzen weg. Schlechte Idee. Auf der großen Wiese kicken die blöden Kicker. Der Ball zischt am Jackentor vorbei. Wuuuuusch. Die Wiese: Wieder beige. Der Ostpark: ein Hasen-Vefolgungsparcours.
Das war jetzt natürlich Absicht. Nein, Hasen und Karnickel sind nicht das gleiche. Das weiß jeder. Aber aus der Hasen-Karnickel-Diskussion kann man sich herauswinden. Wikipedia: “Als Kaninchen (umgangsspr. auch Karnickel) bezeichnet man mehrere Gattungen und Arten aus der Familie der Hasen (Leporidae)”. Na also. Ein Hase ist kein Kaninchen, ein Kaninchen aber ein bisschen Hase.
Jetzt aber wieder richtig: Das Kaninchen-Leben im Ostpark ist würdelos. Von Wiese zu Wiese wetzen und überall verscheucht werden. Nicht schön. Wo die blöden Kicker und die blöden Jogger und die blöden Radler nicht sind, da sind die blöden Kricketspieler. Inder wohl, oder Pakistanis. Ganz in weiß. 18 Spieler in voller Montur. Karnickelunfreundlich raumgreifend. Wuuuusch. Karnickelstörer auch die afrikanischen Trommler mit ihren Dreads. Und der Typ mit dem Didgeridoo. Bam! Bam! Bambambam! Trooot! Trooooot! Wuusch. Rennende Nager finden die 50 Frauen mit Kopftüchern superlustig, die offenbar einer Art Club angehören, der sich hier öfter trifft. Ihr Lachen übertönt das Autogeröhr vom Ratsweg.
Die fiesesten Kaninchenvertreiber überhaupt sind heute die neun Mitglieder der picknickenden jüdisch-orthodoxen Großfamilie – jedenfalls die sieben Söhne, jeder mit Kippa auf dem Kopf, aber nur drei mit einem Mietrad der Deutschen Bahn ausgestattet. Gurken schälen ist langweilig. Mit Deutsche-Bahn-Rädern einen Grashügel runter und wieder hoch eiern dagegen toll. Wuusch. Die armen Tiere (so stimmt’s auf jeden Fall). Ein ganz kleines beiges Knäuel gerät fast unter einen Reifen.
Wo kommen die Karnickel her? Wo gehen sie hin? Wo werden sie geboren? Wo sterben sie? Die leben doch nicht ewig. Aber keine Hasenleichen, nirgends. Dafür jedes Jahr mehr Viecher. Der Ostpark muss zweistöckig sein, komplett untertunnelt. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Man kann den Karnickeln aber nicht folgen, ihre karnickelbreiten Gänge im Ostparkkeller sind ein Stück Stadt, das kein Mensch je zu Gesicht bekommt. Die Hasenstadt.
Ob der Ostpark also eines Tages karnickelbedingt einstürzt? Das wäre schade, denn der Ostpark ist vielleicht die authentischste Ecke Frankfurt überhaupt. Internationaler als der Flughafen. Der Inbegriff eines Stadtparks. Optisch nett. Auf keinen Fall schön. Nicht vergleichbar mit dem Günthersburgpark und seinen hohen alten Bäumen. Der Ostpark ist dem funktionalen Ostteil der Stadt abgerungenes Grün. Ostend. Osthafen. Ostbahnhof. Ostpark. Eine Riesenwiese ohne Schatten spendende Bäume, die so gar nicht zum Rumliegen und Lesen einlädt. Dafür umso mehr zum Fußball-, Kricket-, Volleyball- und Sonstwasspielen. Ein Sportpark.
Keine Oase der Ruhe. Drumherum A 661 und Hanauer Landstraße. Im Süden Güterbahnhofgleise. Im Norden der Ratsweg. Hier ist Frankfurt ganz bei sich. Es mischt sich jeder erdenkliche Stadtlärm und wird ein neues Geräusch, das es in exakt dieser Zusammensetzung an keinem anderen Ort auf der Welt gibt. Brummende Autos. Pfeifende Züge. Brüllende Sportler. Lachende Frauen. Tap-tap-tap-machende Joggingschuhe. Zischende Grills. Das “Klonk” einer Bierflasche, die vom Obdachlosentreff am Kiosk Richtung Tischtennisplatte fliegt.
Nur die stummen Karnickel, sie sind vom Ostpark-Konzert ausgeschlossen. Können den Klangteppich nur ertragen und nicht erweitern. Wahrscheinlich wäre die Kaninchenwelt ein Stockwerk tiefer der perfekte Ort zum Meditieren. Eine Welt mit leise gedrehtem Ton. Gut, dass das oben anders ist.
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