Vorbereitung auf den Flug ins All – Astronaut Alexander Gerst trainiert im “Sternenstädtchen”
Das Kosmonautentrainingszentrum Juri Gagarin – liebevoll Sternenstädtchen genannt – liegt tief verschneit vor den Toren Moskaus: ein weitläufiges Gelände mit Montagehallen, Wohnblocks und Bürogebäuden. Herzstück ist eine fast hundert Meter lange und 30 Meter breite Halle. In ihr befinden sich einige Sojus-Raumkapseln, in denen sich die Flüge ins All simulieren lassen. Jeden Morgen kurz nach neun stehen Alexander Gerst, Sergej Prokopjew und Serena Auñón-Chancellor im Raumanzug vor einer der Trainingskapseln. Und Alexander Gerst unterstützt die beiden Weltraumneulinge bei ihren Übungen mit Rat und Tat, erklärt die US-Astronautin, die erst vor wenigen Wochen für eine Kollegin eingesprungen ist:
“Er ist ein großartiger Mentor. Er war schon einmal da oben und weiß, wie die Dinge laufen. Ich kann ihn alles fragen. Man ist immer etwas unsicher, wenn man an einen recht unbekannten Ort reist – aber ich lerne nun von einem Freund mit sehr viel Erfahrung.”
Üben, um im Notfall intuitiv richtig zu reagieren
Nach diesem Statement zwängt sich die dreiköpfige Besatzung in die enge Sojus-Kapsel. Das fiktive Kontrollzentrum befindet sich in einem kleinen Raum nur wenige Meter entfernt. Auf den Monitoren blinken Messwerte und die Flachbildschirme an der Wand zeigen Kamerabilder aus dem Inneren der Kapsel. Per Funk sprechen die Trainer und Flugingenieure mit der Besatzung, die zunächst die Raumanzüge an die zischende Sauerstoffversorgung anschließt. Es folgen zwei Stunden höchster Konzentration. Denn was hier mehr wie ein Videospiel wirkt, soll im Ernstfall Leben retten – die drei in der Sojus-Kapsel müssen jede erdenkliche Störung viele Male durchspielen, um bei einem echten Notfall intuitiv richtig zu reagieren. Schließlich schnallen die drei sich wieder los und krabbeln aus der Kapsel.
“Wir haben trainiert, wie man von der Raumstation abdockt und nominell landet, eine normale Landung am normalen Landepunkt. Da werfen einem die Instruktoren natürlich immer viele Steine in den Weg. Heute hatten wir zwölf verschiedene Dinge, die kaputt gegangen sind. Einige davon wären auch kritisch gewesen: Wir hatten zum Beispiel einen Triebwerksausfall, wir hatten ein Leck an Bord, auch kleinere Sachen, wie ein Funkgerät, das kaputt gegangen ist, wir hatten ein Leck in einem der Treibstofftanks, das ist natürlich eine der schlimmeren Sachen. Wir haben es aber trotzdem geschafft, nominell zu landen.”
Gerst wird Kommandant der ISS
Das Training läuft noch gut vier Monate lang – denn der Start von Alexander Gerst hat sich von Ende April auf den 6. Juni verschoben. Wie aus NASA-Kreisen zu hören ist, wollte man dem japanischen Astronauten, der derzeit auf der Station ist, mehr Zeit zum Forschen geben – und Japan hat mit einem finanziellen Anteil von knapp 13 Prozent an der ISS größeres Gewicht als Europa mit nur acht Prozent. Da die Rückkehr zur Erde aber wohl nicht verschoben wird, verliert Alexander Gerst rund sechs Wochen im All. Er kann es verschmerzen, kommt ihm doch in der zweiten Hälfte der Mission eine besondere Ehre zu – er wird Kommandant der Raumstation sein.
“Als Commander hat man schon einiges zu tun. Das war mir vorher auch nicht so ganz klar, wie viel Arbeit das tatsächlich sein wird – auch schon im Vorfeld des Fluges, weil man wirklich einiges koordinieren muss. Auch mit der Crew: Dass jeder das Training bekommt, das er braucht. Man muss koordinieren mit der Missionskontrolle, man muss schauen, dass sich alle gut kennen. Wenn man später mal ein Problem im Orbit hat, ist es extrem wichtig, dass man nicht irgendwo jemanden anruft, den man noch nie gesehen hat und versucht dann, ein Problem über das Telefon zu lösen. Das ist sehr viel einfacher, wenn man sich kennt und den Humor des anderen versteht und so.”
80 Experimente im All
Ganz besonders wichtig ist die Rolle des Kommandanten in einem Szenario, von dem alle hoffen, dass es nie eintritt: wenn ein ernster Zwischenfall auf der Station potenziell das Leben der Astronauten bedroht.
“Wenn es brennt oder wenn die Raumstation ein Loch hat, dann gibt es auch keine Kommunikation mit der Bodenkontrolle. Wenn wir jetzt Ammoniak-Alarm haben, dann ist sogar der Plan, dass wir überhaupt nicht mit der Bodenkontrolle sprechen, weil das eine Zeitverschwendung wäre für die ersten 15 Minuten und da müssen schon wichtige Entscheidungen getroffen werden.”
Bis zum Start der Mission “Horizons” geht es nun auch verstärkt um das Einstudieren der rund 80 Experimente, die die Besatzung in den Modulen in der Umlaufbahn durchführen oder zumindest überwachen soll. Denn ab 6. Juni ist die Theorie vorbei – dann besteht Alexander Gersts All-Tag aus einem dichten Arbeitsplan für die Forschung in der Schwerelosigkeit.